Samstag, 15. Oktober 2005

»Diese Karte gilt erst ab 18:00 Uhr«


Steht in Kreidelettern auf einer riesigen Tafel über dem Tresen. »Na, ja. Draußen ist das Wetter eh viel angenehmer« denke ich, drehe mich um und begebe mich vor das Café um mir an einem der kleinen Holzklapptische einen Stuhl zu suchen. Es ist friedlich auf dem großen Platz. Die Tische sind nur spärlich besetzt. Ein Pärchen hat seinen aus dem Schatten in die Sonne gerückt. Vor meinen Augen wird gerade wieder der Heißluft- Fessel-Ballon an einer Seilwinde nach oben gefahren.

»Ich stehe immer voll auf der Seite unserer Kunden.« hatte er gesagt. »Da mag manch einer sicher sagen, dieses oder jenes ist schöner oder besser, aber das interessiert unsere Kunden nicht. Unsere Kunden wollen immerhin mit ihren Seiten auch Geld verdienen, das ist es was unsere Kunden hauptsächlich interessiert.« Trotz der harschen Worte blieb er freundlich. Ich nickte nur. Und er fuhr fort: »Bis auf unsere Non-Profit Kunden, die haben wir natürlich auch. Weiß nicht ob Sie sich das auf unserer Webseite mal angeschaut haben.« Natürlich, hatte ich.

Ich bestelle den Salat mit Forellenfilet, der Kellner, etwa in meinem Alter, stutzt als hätte er solch eine Bestellung nicht von mir erwartet. »Und eine große Cola.« füge ich hinzu. Das entspricht sicher eher seinen Erwartungen unserer Generation. Er wiederholt meine Bestellung beim notieren und verschwindet flugs nach drinnen. Rechts von mir prangen die Worte »Internationale Kunst« überdimensional in großen Kapital-Lettern an der Halle. Einige Pärchen haben sich, auf einer steinernen Betonmauern darunter, auch ein Fleckchen Sonne gesucht. Der große weiße Ballon schiebt sich gemächlich wieder nach unten und ich lasse vor meinem innerem Auge weiter Revue passieren, was vor etwa einer Stunde geschah.

Die hintere Wand des Raumes war komplett verglast. Hinter der Verglasung zog sich eine riesige stilisierte Weltkarte, mit glänzenden schwarzen Kontinenten entlang. Man konnte glatt meinen dies wäre mal ein Büro einer hanseatischen Reederei gewesen. Einzig irgendwelche Fahnen, Wimpel oder Bilder von Frachtern und Schiffen an den Wänden fehlten. Langsam taute er auf, und wirkte wieder entspannter als noch fünf Minuten vorher. »Viele Kunden kommen zu uns und haben erst ein mal sonst welche Vorstellungen, von dem was realisierbar ist. Denen muss man dann erst mal einiges aus dem Kopf streichen und gleichzeitig aber beratend zur Seite stehen.« Ich bestätige ihn wieder durch ein Nicken. Innerlich notierte ich mit. Solche Widersprüchlichkeiten deuteten mir meist auf einen Choleriker hin. Bisher machte er immer noch einen sympathischen Eindruck.

Ich kehre zurück aus meiner Erinnerung. Das Forellenfilet liegt in einem kleinem Bogen einmal quer über den Salat. Auf der gebackenen Haut glänzen kleine Meersalzkristalle. Es ist noch warm und bildet zusammen mit dem italienischem Dressing des Salats im Mund einen leicht salzigen, angenehmen Geschmack. Schräg gegenüber, am nächstem Tisch, lässt sich eine Familie mit zwei kleinen Töchtern nieder. Die beiden Jungs einer Familie drei Tische weiter, schneiden Grimassen in Richtung der zwei Mädchen. »Langsam ist es ein bisschen voller geworden« denke ich. Aber noch drängeln sich die meisten, in einer kleinen Schlange, in der Ferne, in den Ballon. Dieser war mittlerweile wieder mal unten angekommen, und nachdem er eine Menschenmenge entleert hatte, dazu bereit neue Touris aufzunehmen.

»Nun, wie ich ihnen bereits erzählt habe, hat bei uns, von der technischen Seite her, absolut keiner eine Ahnung. Wir suchen natürlich nicht das absolute Multitalent, aber jemanden der bereit ist unsere Programmierung und Gestaltung der Seiten zu übernehmen. Haben Sie sich unsere Webseite mal genauer angeschaut, ist ihnen da etwas aufgefallen?«
»Ja.« entgegnete ich. »Ich bin zwar nicht unbedingt ein Freund von Frames, habe da eher schon eine modernere Haltung, aber …«
»Nein, in technischer Hinsicht« unterbrach er mich.
»Den Quellcode habe ich mir natürlich auch angeschaut,« fuhr ich fort »und es hat mich ein wenig gewundert, dass keine Meta-Tags vorhanden sind. Aber im Prinzip sind die heut zu Tage auch nicht mehr das entscheidendste …«
»Doch, doch« unterbrach er mich wieder »das Ranking, das ist auch so eine Sache die für uns sehr wichtig ist. Da haben wir in der Vergangenheit auch sehr viel Pech gehabt bei einem der uns die Seite mal gebaut hat.«
»Ja, ich habe mir das mit einem Suchdienst auch gleich mal angesehen« sprach ich weiter. »Wenn man den vollen Namen der Agentur eingibt dann bekommt man die Seite gleich als erstes.«
»Ja, genau.« bestätigte er mich.
»Aber wenn man nach Textpassagen sucht, findet man leider nichts.«
Er nickte, »Ja, unsere Webseite ist jetzt auch schon gut sechs Jahre alt, die wollen wir demnächst dann auch mal erneuern, das steht sozusagen dann auch noch an.« Eigentlich wollte ich ursprünglich mal etwas zu den sinnfreien Frames sagen, beließ es aber dabei.

Ich bestelle abschließend und ausnahmsweise einen Espresso. Heute ist so schönes Herbstwetter, da gönne ich mir mal eine Ausnahme. Mr. ›King-Ding-A-Ling‹ hat sich per SMS abgemeldet, er ist noch etwas ›busy‹. Ich solle mich erst mal allein durchschlagen, er käme dann später zu mir und entschuldigt sich. Ich tippe etwas unverständliches, etwas was wie ein Gegrummel wirken soll, als Antwort in mein alterndes Handy. Er wollte mich eigentlich abholen und war der Grund für den Abstecher vor das Café. Egal, ich genieße weiter das schöne Wetter. Der Kellner huscht noch ein mal an meinen Tisch und fragt ob ich nicht gerade einen Espresso bestellt hätte. Ich bejahe, und er sagt: »OK. Sorry. Bringe ich sofort.« Ich lächle und entgegne: »Macht nichts.« Der Tag ist einfach zu angenehm.

»Was würden Sie denn für einen Vollzeit-Job verlangen?« fragte er. Langsam kamen wir in die heißere Phase. Ich nannte meinen Betrag. »Und was würden sie für einen Teilzeit-Job haben wollen?« fragte er weiter. Wieder nannte ich ihm einen Betrag und fügte hinzu dass dies das mindeste sei. »Nun ja, ich muss dass ja irgendwie prozentual runter rechnen, damit ich eine Vorstellung bekomme.« entschuldigte er sich. »Wir dachten für den Anfang so an fünfzehn bis zwanzig Stunden die Woche.«
»Das ist natürlich sehr wenig.« sagte ich.
Nun nannte er mir einen Betrag zu den zwanzig Stunden. »An so viel dachten wir ungefähr, das kommt natürlich, wenn man das umrechnet in etwa mit ihrem Betrag hin.«
»Ist hart an der Schmerzgrenze.« sagte ich. »Zum leben zu wenig, zum sterben zu viel.« rutschte es mir über die Lippen. Er gab mir recht und entschuldigte sich: »Ja, stimmt natürlich, aber das ist auch nur für die ersten drei Monate so gedacht. Danach ist auch mehr Arbeitszeit drin, dann kann man das steigern. Wir müssen uns da ja auch erst ein mal einarbeiten.« Er brachte noch so einiges an Begründungen hervor: »Die Bank…, die Kunden…, wir können ja nicht von heute auf morgen einhundert Prozent…, wir sind ja leider keine Behörde die von Steuergeldern lebt…, etc.« Ich hörte schon gar nicht mehr hin. Dachte an eine gemütliche Cabriofahrt mit Mr. King-Ding-A-Ling, nachher. Inklusive hübschen Mädels hinterherschauen.

Der Ballon ist jetzt ganz weit oben, die Menschen kaum zu erkennen. Einige winken von unten und von oben. Der Kellner stellt die kleine Tasse vor mich hin. »Der Espresso geht auf mich.« sagt er. Ich bedanke mich höflich und schüttle das Papiertütchen mit Zucker hin und her um es anschließend oben aufzureissen. Gegenüber erkenne ich an dem futuristischem Glasneubau das mindestens genau so futuristisch wirkende Logo eines öffentlich-rechtlichem Fernsehsenders. »Aha!« denke ich, »Für die haben sie den Klotz da also hochgezogen.« Ich schlürfe den Espresso in ein paar kleinen Zügen herunter, dann nippe ich noch ein mal an der Cola. »In Italien würde man mich dafür jetzt sicher ziemlich schräg anschauen.« schießt es mir durch den Kopf, »Das geht gar nicht, höchstens Wasser wäre erlaubt.« Hier scheint sich allerdings niemand daran zu stören. Ich stehe auf und begebe mich zum zahlen nach drinnen.

»Was halten sie davon mal für eine Woche zur Probe vorbeizukommen?« fragte er. Ich sagte nichts. »Natürlich gegen Bezahlung,« entgegnete er, »um sich kennen zu lernen und zu sehen ob man überhaupt miteinander auskommt.« Ich nickte. »So gegen Ende nächster Woche können Sie sich noch mal melden.« sagte er mir. Wir verabschiedeten uns und er wünschte mir ein schönes Wochenende.

Wieder draußen, vor dem Café, blicke ich über den Platz. »Warum bekommt man immer erst mal nur die scheiß Jobs angeboten, die man eben genau nicht will?« frage ich mich. Auf einmal weiß ich wieder warum ich mich während der Ausbildung mehr auf den Bereich Print konzentriert hatte. Ich gehe los und bewege mich in Richtung Bahnhof.

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